11

 

Es handelte sich um falschen Alarm. Das Schiff, das im Südosten gesichtet worden war, entpuppte sich dann doch nicht als die Myra T.

Als sich die Schwalbe der fremden Jacht weit genug genähert hatte, um das feststellen zu können, befahl Thayer Byrum, der das Ruder von Rudge übernommen hatte, auf den alten Kurs zurückzugehen. Im anderen Boot saßen drei Frauen und drei Männer. Sie winkten, als die Schwalbe abdrehte, einen Moment lang spielte Byrum mit dem Gedanken, einfach auf die fremde Jacht zuzusteuern und um Hilfe zu rufen. Aber wahrscheinlich würde er schon nach dem ersten Hilferuf eine Kugel in den Kopf bekommen.

Er sah Rudge an der Reling lehnen. Den Revolver hielt er in der Hand, dicht neben seinem Bein, so daß die Leute auf dem anderen Boot ihn nicht sehen konnten. Rudges Befinden schien wesentlich besser zu sein als in der Nacht.

Es ging schon auf Mittag, und die Sonne war heiß geworden. Clemi, die wieder in die Kombüse geschickt worden war, bereitete aus Corned beef und Bratkartoffeln ein Mittagessen. »Thayer trank eine Dose Bier nach der anderen. Es saß wieder im Rollstuhl, den er im. Freien hinter der großen Kabine festgestellt hatte. Ein Revolver lag auf seinem Schoß.

Die Hitze war wie in einem Backofen. Hier und da sahen sie andere Schiffe, aber keines hatte mit der Myra T. Ähnlichkeit. Byrum blieb fast den ganzen Nachmittag lang am Ruder. Clemi verschwand nach Tisch für einige Stunden in der kleineren Kajüte, um zu schlafen. Später brachte sie Byrum eine Leinenmütze und ein frisches Unterhemd, das sie in seinem Kleiderkasten gefunden hatte. Thayer saß schweigend im Rollstuhl und ließ Byrum nicht aus den Augen. Später ging Rudge ebenfalls schlafen. Serena lag vorn auf dem Deck und sonnte sich. Sie hatte ein Handtuch zu einem schmalen Streifen zusammengefaltet und über die Augen gelegt.

Clemis gebräuntes Gesicht war ernst, als sie zu Byrum trat.

»Was wollte denn Serena von dir, Pete?«

»Nichts Besonderes. Ich sollte bloß in Thayers Auftrag Rudge umbringen und Steve das Geld abnehmen. Sie wollten sogar so nett sein, Steve laufen zu lassen.«

Clemis Lächeln war undurchdringlich. »Weiter nichts?«

»Doch. Eine hübsche Belohnung hätte ich auch bekommen. Sie selbst.«

»Wirklich?« Clemis Lächeln erlosch. »Sag, Pete, können wir denn gar nichts tun, um uns zu retten?«

»Thayer und Rudge sind beide bewaffnet. Und auch sonst könnte ich mit Rudge nicht allein fertig werden.«

»Aber jetzt schläft er«, flüsterte Clemi. »In der kleinen Kajüte,«

Byrum warf ihr einen scharfen Blick zu. Sie meinte es ernst. Er lächelte und klopfte ihr ermunternd den Arm. »Lehn dich an mich«, sagte er leise. »Schmuse ein bißchen mit mir, damit ich nicht so laut sprechen muß.«

»Ich wüßte nichts, was ich lieber täte.«

»In ein paar Minuten gehst du ‘runter und riegelst die vordere Kajüte von außen zu. Aber leise, damit Rudge nicht aufwacht. Dann kommst du zurück und gehst sofort vor zu Serena. Unterhalte dich mit ihr. Sprich über irgendwas.«

Backbord war nicht weit entfernt ein weißes Fischerboot zu sehen, und die Rauchfahne eines Tankers zog sich wie ein schwarzer Strich am Horizont dahin. Die See war jetzt wieder ruhig.

Byrum zog den Choke des Steuerbordmotors einen Finger breit heraus. Der Rhythmus des Motorengeräusches wurde unregelmäßig. Clemi war blaß, als sie ihn auf die Wange küßte und unter Deck ging. Byrum wartete gespannt.

Der herausgezogene Choke bewirkte, daß der Steuerbordmotor immer mehr hustete und knatterte. Byrum wandte sich um und ging aufs Achterdeck wo Thayer hinter den Maschinenluken im Rollstuhl saß.

Thayers Augen waren kalt wie Eis.

»Was ist los?« fragte er.

»Kann nichts Besonderes sein. Ich seh’s mir mal an.«

»Wieviel Treibstoff haben wir noch?«

»Es wird langen«, erwiderte Byrum wahrheitsgemäß. »Daran kann’s nicht liegen.«

Er hob den Deckel der Steuerbordluke ab und sah auf die schwer arbeitende Maschine hinab. Die Schwalbe folgte der automatischen Steuerung. Aus dem Steuerbordauspuff kam Rauch. Die Sonne lag Byrum wie eine eiserne Faust im Genick, als er sich über die Maschinenluke beugte.

Thayers Stimme drang an sein Ohr. »Serena hat mir gesagt, daß Sie an meinem Angebot nicht interessiert sind.«

»Das stimmt«, erwiderte Byrum ruhig.

»Sie haben wohl völlig den Verstand verloren. Oder Sie sind so dickköpfig, daß es Ihr Tod sein wird. Ich muß das Geld wiederhaben. Und ich will Myra zurückhaben. Ich bin bereit, über alles andere großzügig hinwegzusehen.«

»Und wie steht’s mit dem Mord an Fahey?«

»Wir werfen der Polizei Rudge in den Rachen.«

»Damit Sie wieder obenauf sind, nicht wahr?«

»Jeder muß sehen, wo er bleibt«, erwiderte Thayer. »Ich kann mir nicht einfach einen neuen Job suchen. Und die Leute, mit denen ich arbeite, würden mich auch gar nicht ungeschoren gehen lassen. Dazu weiß ich zuviel. Hören Sie, Byrum, wir haben beide den gleichen Feind, Sie und ich: den Tod. Und wer in diesem Kampf Sieger wird, muß sich zeigen, wenn wir am Ziel dieser Fahrt sind.«

Byrum öffnete eine Werkzeugkiste und nahm einen schweren Schraubenschlüssel heraus. Aus dem Augenwinkel beobachtete er den großen Colt, den Thayer in der Hand hielt. Er hatte den Arm auf die Stuhllehne gestützt, und der Lauf war zu Boden gerichtet. Serena lag so weit vorn auf Deck, daß sie weder Thayer noch Byrum sehen konnte.

Jetzt erschien Clemi wieder. Sie nickte kaum merklich. Mit einem Seitenblick nahm Byrum wahr, daß Thayer zu Clemi hinübersah. Im selben Moment warf er den schweren Schraubenschlüssel nach Thayer.

Er traf den Mann im Rollstuhl am Oberarm. Das eiserne Werkzeug fiel polternd zu Boden. Aus dem Colt in Thayers Hand löste sich ein Schuß. Die Kugel ging hoch in die Luft. Byrum stürzte sich auf Thayer. Es gelang ihm, Thayers Hand mit dem Colt zu packen und an die Armstütze des Rollstuhls zu pressen. Thayers Gesicht verzerrte sich. Wieder ging ein Schuß los. Byrum spürte den Rückschlag durch Thayers dickes Handgelenk hindurch. Auch diese Kugel ging ins Leere. Jetzt bog Byrum mit aller Kraft den Lauf zur Seite. Thayer keuchte und fluchte und krampfte die Finger um die Waffe, aber es gelang Byrum, sie ihm zu entreißen. Mit der freien Hand versetzte Thayer seinem Gegner einen Fausthieb in den Magen. Der Schmerz durchfuhr Byrum wie ein Feuerstrahl. Die Waffe fiel zu Boden und rutschte zur Seite.

Clemi stürzte hinzu und hob sie auf. Byrum trat vom Rollstuhl zurück.

»Gib mir die Waffe, Clemi«, sagte er.

Sie reichte sie ihm und hielt gleichzeitig nach Serena Ausschau.

»Hast du die Kajüte verriegelt?«

»Ja. Rudge hat sich nicht gerührt.«

»Aber jetzt ist er bestimmt munter«, sagte Byrum grimmig. Er begegnete Thayers Blick. Das Gesicht des Mannes im Rollstuhl war wutverzerrt. Die Waffe in seiner Hand verlieh Byrum das Gefühl der Sicherheit. Er wandte sich um. »Kümmere dich um Serena«, sagte er zu Clemi. »Sie muß auf dem Vorderdeck bleiben. Kannst du dafür sorgen?«

»Ja«, erwiderte sie rasch.

»Gut, dann geh zu ihr.«

Als nächstes galt es, Rudge auszuschalten. Aber er hatte eine Luger. Doch Byrum war ja nun auch bewaffnet, und Rudge befand sich in der Kajüte, deren Tür verschlossen war, was einen Nachteil für ihn darstellte. Allerdings war die Tür nur dünn, und der Riegel taugte nicht viel. Byrum trat an die Tür.

»Rudge!« rief er.

Keine Antwort. Clemi war schon hinter der Kajüte verschwunden, um zum Vorderdeck zu gehen. Byrum hörte einen leisen, kratzenden Laut, dann einen dumpfen Schlag und erneutes Kratzen.

Auf dem. Vorderdeck schrie Clemi laut auf.

Byrum schlug den Klappriegel zurück, stieß die Tür auf und stürzte in die Kajüte. An der gegenüberliegenden Seite sah er eine zweite Tür. Sie führte zum vorderen Laderaum und war weit geöffnet. Sonnenschein flutete durch eine offene Luke auf dem Vorderdeck in den Laderaum hinein. Die Situation war klar. Die Schüsse hatten Rudge geweckt. Als er die Tür verschlossen fand, war er aufs Vorderdeck gestiegen, wo Serena in der Sonne lag. Dort war er vermutlich jetzt noch — mit gezückter Waffe — während er selbst in derselben Falle saß, in der er Rudge hatte haben wollen.

Byrum stürzte nach achtern. Wieder hörte er Clemi schreien: »Pete, Vorsicht!«

Byrum sah Thayer auf dem Achterdeck im Rollstuhl sitzen und stürzte in die große Kajüte. Thayer starrte über ihn hinweg zum Dach der vorderen Kajüte. Rudge war also dort. Byrum bemerkte, daß Thayer den Blick senkte. Im nächsten Moment sahen sie sich in die Augen. Obwohl Thayer ihn im Halbdunkel der Kajüte deutlich sehen konnte, schwieg er, und sein Gesicht blieb starr wie eine Maske.

»Byrum!«

Rudges Ruf klang hart und drohend wie ein Donnerschlag zu ihm herüber.

»Byrum, werfen Sie die Waffe hier herauf zu mir.«

»Kommen Sie doch her und holen Sie sich das Ding!«

Rudge lachte. »Das brauche ich nicht, mein Junge. Ich habe dein Mädel hier bei mir und halte meine Luger auf sie gerichtet. Soll ich abdrücken?«

Byrum brach der Schweiß aus allen Poren. Die Waffe rutschte in seiner feuchten Hand.

Er sah fragend zu Thayer hinüber. Der Mann im Rollstuhl nickte. Das war Byrums zweite Niederlage.

»In Ordnung«, rief er. »Schicken Sie Clemi zu Thayer, so daß ich sie sehen kann. Sie können sie ja im Auge behalten.«

Rudge zögerte einen Augenblick, dann stimmte er zu. Byrum hörte Clemi mit unsicheren Schritten nach achtern gehen. Gleich darauf erschien sie neben Thayer. Ihr Haar und ihre Kleidung waren in Unordnung.

Byrum warf die Waffe aufs Vorderdeck. Sie schlug klappernd auf die Bohlen und glänzte im grellen Sonnenlicht. Die Schwalbe hob und senkte sich in den Wellen, und er bemerkte, daß sie sehr langsam fuhren. Serena schien auf der Brücke zu sein und den Choke hineingeschoben zu haben, mit dessen Hilfe er den Motordefekt vorgetäuscht hatte.

»Kommen Sie ‘raus«, befahl Rudge.

Byrum folgte der Aufforderung niedergeschlagen und blickte zum Dach der vorderen Kajüte empor. Dort stand Rudge als riesiger schwarzer Schatten breitbeinig vor dem leuchtend blauen Himmel.

Rudge lachte. Als Byrum seinem Blick begegnete, glaubte er, daß der blonde Riese ihn über den Haufen schießen würde, doch dann bückte sich Rudge und hob den Colt auf. Thayer sah ihm mit zusammengekniffenen Lippen zu. Rudge steckte den Revolver in den Gürtel und trat mit dem leichten geschmeidigen Schritt einer Wildkatze auf Byrum zu.

»Hat Sie vielleicht Serena auf diese Idee gebracht?« fragte er leise. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem kalten Lächeln. Er sah so gefährlich aus wie ein fauchender Tiger. »Ist sie deshalb heute früh zu Ihnen in die Kajüte gekommen?«

Byrum schwieg.

»Thayer denkt wohl, er kann diese Fahrt dazu benutzen, mich umzulegen. Hat er das vielleicht mit Ihnen besprochen?«

»Nein.«

»Hat er Ihnen wirklich nicht so etwas Ähnliches vorgeschlagen?«

»Hör auf mit dem Unsinn«, mischte sich Thayer mit müder Stimme ein. »Gib mir meinen Revolver wieder.«

Rudge lachte. »Damit du ihn auf mich richten kannst, was? Um mich dann den Haifischen vorzuwerfen?«

»Sei nicht kindisch«, erwiderte Thayer scharf. »Über unsere persönlichen Differenzen unterhalten wir uns am besten erst, wenn wir in Mexiko sind und das Geld haben.«

»Ich übernehme jetzt das Kommando auf diesem Boot. Was ich sage, wird gemacht, Al. Und wenn du aufmuckst, kannst du was erleben, verstanden?«

Thayers Lippen waren ein schmaler Strich. »Das wirst du mir teuer bezahlen, mein Junge.«

Rudges hübsches Gesicht war rot vor Zorn. »Du wolltest, daß Byrum mich umbringt. Für wie dumm hältst du mich eigentlich. Natürlich habe ich gelauscht, als sich das Luder, deine Schwester, zu Byrum geschlichen hat. Da hast du dir ja was Nettes ausgedacht, aber die Rechnung hast du ohne mich gemacht, mein Lieber. Und wenns dir nicht paßt, kannst du aussteigen und nach Hause gehen.« Er fuhr herum und sagte zu Byrum: »Und dir, mein Junge, will ich bloß raten, nicht noch mal auf dumme Gedanken zu kommen. Hier hast du eine kleine Kostprobe, damit du weißt, was du erleben kannst, wenn du nicht parierst.«

Rudge lächelte. Im nächsten Moment landete der Lauf des Revolvers krachend in Byrums Gesicht. Der Schmerz war wie eine Explosion. Byrum taumelte zurück. Er stolperte über den Deckel der Maschinenluke und schlug rücklings zu Boden.

Nur gedämpft drang Clemis Schrei in sein Bewußtsein.

Als er sich aufrichtete, schwankten Boot und Himmel vor seinen Augen. Rudges Gestalt hob sich dunkel vor dem grellen blauen Himmel ab. Byrums schützend erhobener Arm flog zur Seite, als Rudge ihm einen neuen Hieb versetzte, gefolgt von einigen Fußtritten. Byrums Kopf schlug schwer auf die Planken. Blut rann warm über sein Gesicht.

Alle Gedanken wurden ausgelöscht von der Pein der Schmerzen. Wieder spürte er Rudges Fuß in seinen Rippen. Als riesengroßer drohender Schatten sah er den blonden Mann über sich stehen, und dann sah er nichts mehr, tauchte ein ins Dunkel.